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Artikel aus der A-Post 1/2000
Ein Kino ist ein Dienstleistungsbetrieb, in dem sich die MitarbeiterInnen nur selten zu Gesicht bekommen. Die Arbeitszeiten sind unregelmässig und selbst die MitarbeiterInnen einer Schicht arbeiten an verschiedenen Arbeitsplätzen, in der Kabine, an der Kasse, in der Putzequipe oder an der Bar. Diese Arbeitssituation ist typisch für viele moderne Dienstleistungsbetriebe. Die MitarbeiterInnen der Studio Kino AG haben dennoch einen Weg gefunden, sich gemeinsam für ihre Interessen einzusetzen.
Ein Brief sorgt für Verunsicherung
Im Frühjahr 1997 sorgte ein Brief der Geschäftsleitung für Verunsicherung und Ärger unter den MitarbeiterInnen der Studio Kino AG. Das wirtschaftliche Umfeld des Betriebes sei schwierig, hiess es, der volle Einsatz aller sei gefordert, wenn der Betrieb überleben wolle - und, so liess sich zwischen den Zeilen lesen, die nötige gemeinsame Anstrengung werde nicht von allen geleistet. Als unangenehme Konsequenz der erforderlichen härteren Gangart, teilte die Geschäftsleitung jedenfalls mit, dass sie sich von einer langjährigen Mitarbeiterin trennen müsse. „Wir empfanden den Brief als Warnschuss und Drohung", erinnern sich Charlotte und Alice, die damals beide relativ frisch bei der Studio Kino AG angestellt waren, „Wir fürchteten, dass es jede von uns treffen könnte - und wir waren ratlos".
Ein IGA-Mitglied weiss Rat
Nicht alle waren ratlos. Marco, Mitarbeiter der Putzequipe und IGA-Mitglied der ersten Stunde, brachte die Idee einer MitarbeiterInnenversammlung mit gewerkschaftlicher Unterstützung auf. VertreterInnen aller Betriebe und aller Sparten folgten Marcos Aufforderung und diskutierten mit Hans-Georg Heimann von der IGA ihre Anliegen. Die Versammlung beschloss eine Stellungsnahme der MitarbeiterInnen zuhanden der Geschäftsleitung. In diesem Brief forderten sie eine Aussprache und informierten über den Kontakt mit der Gewerkschaft. „Wahrscheinlich war das Büro über diesen Brief ziemlich geschockt", mutmasst eine Mitarbeiterin, „denn die Geschäftsleitung lebte im Bewusstsein, ein absolut sozialer Arbeitgeber zu sein". Diese erste Versammlung war auch für etliche MitarbeiterInnen ein Schock: zum erstenmal wurde untereinander über den Lohn und die Verträge gesprochen - und die Unterschiede, die zu Tage kamen liessen sich längst nicht alle mit unterschiedlicher Qualifikation oder Dienstalter erklären...
Die Geschäftsleitung lenkt ein
Die Aussprache findet in Form einer Vollversammlung statt: die ganze Geschäftsleitung, der Verwaltungsratspräsident und eine erfreulich vollzählige Belegschaft beschäftigen sich mit den Forderungen nach Lohntransparenz, klaren Anstellungsbedingungen und einer MitarbeiterInnen-Vertretung. Die Geschäftsleitung sagte grundsätzlich JA zu einem Rahmenarbeitsvertrag, aber - so sehen es zumindest Charlotte und Alice - eigentlich hätten sie die IGA lieber nicht in den Verhandlungen gehabt. Die beiden Frauen sind sich aber heute noch sicher, dass es richtig und nötig war, mit der IGA zusammen weiterzuarbeiten. Denn was nützt es, wenn alle sozial und lieb sein wollen, aber die nötige arbeitsrechtliche Erfahrung fehlt? „Wir sind recht viele Konzessionen eingegangen", meinen Charlotte und Alice im Rückblick. Ein halbes Jahr lang wurde um Arbeitsbedingungen verhandelt und die Pflichtenhefte festgelegt. Vor allem um die Punkte Mutterschaftsversicherung, Dienstalterzulage und Betriebskommission wurde heiss gerungen. Schliesslich kam es zu keiner MSV, einem Kompromiss in der Frage der Dienstalterzulagen und zu einer Betriebskommission mit bezahlten Sitzungen, aber ohne Mitbestimmung - und ohne IGA. Das Verhandlungsresultat war ein Rahmenarbeitsvertrag in Minimalfassung. Aber trotz der vielen Konzessionen, erwies sich diese Minimalfassung inzwischen als solide Basis: alle Korrekturen, die es seither am Rahmenarbeitsvertrag gab, fielen zu Gunsten der MitarbeiterInnen aus.
Wem gehört das Baby?
Neben arbeitsrechtlichem Wissen, haben die Mitarbeiterinnen in jenen sechs Monaten auch viel über Psychologie gelernt. Als endlich alle Differenzen bereinigt schienen, legten sie der Geschäftsleitung einen von der IGA ausgearbeiteten Vertrag vor. Dieser wurde nicht akzeptiert, stattdessen legte die Geschäftsleitung daraufhin eine eigene Version vor. Den MitarbeiterInnen fiel es nicht schwer, diesen neuen Vertrag zu akzeptieren, denn er war beinahe identisch mit der Version, die sie selbst vorgelegt hatten. Wichtig war, dass der unterzeichnete Vertrag von der Geschäftsleitung kam. Das war Lektion 1 in Sachen Psychologie. Lektion 2 war, dass auch unter den MitarbeiterInnen nicht alle interesse an klaren Arbeitsverhältnissen hatten. Einige Wenige hatten aus den bisherigen Verhältnissen Nutzen gezogen und fürchteten nun um den Abbau ihrer Privilegien. Dieses Problem wurde gelöst, indem niemandem die Löhne gesenkt wurden. Jene, die bisher höhere Löhne bezogen, ohne dass dafür ein sachlicher Grund gefunden werden konnte, mussten auf Lohnerhöhungen verzichten, bis Gleichheit erreicht wurde.
Was darf die IGA?
Als der Vertrag unterzeichnet war, verlangte die Geschäftsleitung, dass die IGA für die geleistete Arbeit ausbezahlt wird, und sich künftig zurückzieht. Die Betriebskommission trifft sich seither viermal jährlich. Wichtig ist, dass diese Sitzungen allen MitarbeiterInnen der Studio Kino AG offen stehen. Damit soll verhindert werden, dass sich die Kommission eine Machtposition erschafft und so neue Privilegien entstehen. Es hat sich gezeigt, dass die Betriebskommission ein gutes Forum ist, um Probleme und Ideen anzugehen. „Wunder darfst Du allerdings nicht erwarten", fügt Charlotte bei, und Alice ergänzt, „die Frage, wem das Baby gehört ist immer noch wichtig. Du musst Geduld haben, und plötzlich findest Du Deine Idee in einem Vorschlag der Geschäftsleitung wieder". Und ganz aus der Studio Kino AG verbannt bleibt die IGA auch nicht. Seit einem Jahr engagiert sich eine Frau im IGA-Vorstand, und als es letztes Jahr zu einem Konflikt zwischen einer Mitarbeiterin und der Geschäftsleitung kam, war die IGA als Retterin in der Not willkommen und konnte erfolgreich vermitteln.
Nachahmung erwünscht
Die Situation der Studio Kino AG ist nicht einzigartig, es gibt immer mehr Betriebe, in denen sich die MitarbeiterInnen höchstens zur Dienstplanung treffen, und die Kommunikation mit der Geschäftsleitung hauptsächlich über Rundschreiben und zufällige Begegnungen läuft. In solchen Verhältnissen hilft oft der beste Wille nicht weiter, es braucht Strukturen. Eine klare Struktur wie die Betriebskommission der Studio Kino AG schafft Raum und Zeit für die gemeinsamen Interessen einer Belegschaft. Und über die Traktanden der Sitzungen hinaus schafft es so etwas wie Geborgenheit: „Die familiäre Komponente darfst Du nicht vergessen", betonen Charlotte und Alice, und „auch wenn Du keine Wunder erwarten darfst, Respekt haben wir durch unser Vorgehen auf jeden Fall gewonnen". Ein Versuch, das Modell der Studio Kino AG nachzuahmen lohnt sich auf jeden Fall. Einfach so geschasst werden, wie die MitarbeiterInnen der Kasernen-Beiz, wäre mit einem solchen Modell gewiss nicht möglich.
Claudia Studer A-Post 1/2000