Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /home/httpd/vhosts/kontaktstellebasel.chALT/viavia.ch/iga/cookbook/pmcal_2018.php:1146) in /home/httpd/vhosts/kontaktstellebasel.chALT/viavia.ch/iga/pmwiki.php on line 1337 IGA | Arbeitswelten / Unter Druck in der Kaffehaus-Kette

Interprofessionelle
Gewerkschaft der
ArbeiterInnen

Kleinhüningeranlage 3
4057 Basel

Tel. 061 681 92 91
Mo, Di, Do 14 - 17 h

Aktuell
Newsletter IGA-aktuell

Agenda
IGA-Jukebox!

Kalender

Leben und Arbeiten in Basel
https://mitpapieren.ch/

Das IGA-Solidaritätskonto: IBAN CH33 0900 0000 4001 2009 0

Unter Druck in der Kaffehaus-Kette

Pablo und die MisteryShopperParanoia

Pablo arbeitet in einer grossen Kaffee-Kette. Charmant, frech aber immer mit einem freundlichen Augenzwinkern bezirzt er die Menschen. Auch wenn seine Witze vorhersehbar und seine Sprüche fast schon plump sind, reagieren die Empfänger seiner humoristisch fiesen Aussagen stets mit einem beschämten Lächeln. Wenn ein Gast nach dem Code für die Toilette fragt, antwortet Pablo mit einer nie endenden Zahlen und Buchstabenfolge, die sich niemand merken kann. Nach der Frage, ob sich der Gast alles gemerkt hat und dieser ihn erstaunt anschaut, lacht Pablo diesen an und sagt : „Nein, nein Scherz...“. Oder wenn ein Gast ein Kaffe-Creme bestellt, wiederholt Pablo die Bestellung nicht wie sie vom Gast formuliert wurde, sondern ungefähr so: „ Also ein Kaffe-Creme mit Schlagrahm zwei extra Esspresso und Caramel Sauce?“. Charmant wendet er sich mit einem Lächeln und einem „Nein Nein, Scherz...“ ab und gibt die Bestellung durch. Niemand kann auf Pablo wütend sein, denn seine lockere Art ist, auch wenn nervig, doch eher eine Auflockerung für die Büro Angestellten, die ihre Pause im Kaffeehaus verbringen. Mit eben diesem spitzbübigen Charme schaffte es Pablo knapp durch die Schule. Die Schule war nie sein Ding, ausser Streichen und Mädchen gab es wenig, was ihn begeisterte. So kam es, dass er schlecht abschnitt und ihm nur noch eine Lehre als Lagerist übrig blieb. Da ihm in den Jahren der Adoleszenz noch immer die Weitsicht fehlte, kam er oft zu spät, verpasste seine Arbeitstage und schloss zwar ab, aber ein Arbeitsplatz wurde ihm nicht angeboten. Lange war er arbeitslos, traf sich mit Freunden, um die Nächte in Zürich unsicher zu machen und klaute Zigaretten in Tankstellen. Er war stets beliebt, hatte auch immer eine Freundin und sein Charme rettete ihn immer, wenn es brenzlig wurde. Dann lernte er Luzia kennen. Luzia die Frau seines Lebens. Sie arbeitete bereits mit 22 Jahren als Store Managerin in der Kette. Nachdem sie zusammen zogen war auch ziemlich schnell klar, dass Pablo dringend eine Arbeit brauchte, denn vorher war an eine längerfristige Planung nicht zu denken. Also organisierte Luzia Pablo eine Stelle als Shift Supervisor bei sich im Kaffee.
Die Kaffehaus-Kette ist ein hierarchisiertes Unternehmen, das von Zürich aus geleitet wird und fast jede Woche seinen Mitarbeitern eine neue Regel durchgibt: Neu lancierte Produkte und Zusätze, sogenannte Add-Ons, die verkauft werden müssen. Umorganisierte oder gleich verkürzte Pausen. Kürzere Haltbarkeitsdaten der angebotenen Esswaren, so dass schliesslich mehr davon unverkauft im Abfall landet. Die gravierendste aller Anweisungen jedoch ist, keine neuen Mitarbeiter einzustellen. Denn der unversteurte Umsatz des Unternehmens reicht nicht, weshalb das es einen Sparkurs fahren muss. Die Leidtragenden sind die Mitarbeiter, deren Arbeitstage ihnen unter dem Stress und den verkürzten Pausen noch länger erscheinen, als sie es bereits sind.
An sich wären alle diese Befehle ganz einfach zu ignorieren, nur wird monatlich ein Mistery Shopper vorbeigeschickt. Dieser kommt unangekündigt in zivil und soll sicher stellen, dass tatsächlich alles genau so umgesetzt wird, wie von oben befohlen. Jede MitarbeitIn ist sich seiner Anwesenheit bewusst und alle haben ihre Tricks, um herauszufinden, welcher Gast ein solcher Mistery Shopper sein könnte. Besonders für die Store Manager sind die so erhobenen Bewertungen relevant, denn sie werden mit denen anderer Filialen verglichen, sodass auch wirklich jeder Mitarbeiter unter Druck steht. Ironischerweise hält die Konzernleitung daran fest, dass es in der Unternehmenssprache keine Vorgesetzten, Chefs oder dergleichen gibt. Nein, alle Mitarbeitenden seien „Partner“ und somit gleichberechtigt. Denn im Konzern seien ja alle zusammen eine grosse Familie, die Coffee-Family. Das Kaffee ist der sogenannte „Third Place“ zwischen Arbeit und Zuhause und soll deshalb überall auf der Welt identisch sein, sodass man sich als Konsumentin in jeder Niederlassung wie Zuhause fühlen darf.
Unter den MitarbeiterInnen herrscht eine Zweiklassengesellschaft. Zum einen besteht das Team aus Fixlöhnern, die fest angestellt sind und ein regelmässiges Gehalt kassieren. Sie sind überzeugt, das Kaffee stelle ihre alleinige Zukunftsperspektive und Lebensgrundlage dar. Die Unternehmensspitze vermittelt ihren Mitarbeiter zwar freundlich aber doch mit genügender Regelmässigkeit, damit es sich auch wirklich in die Köpfe ihrer sogenannten „Partner“ einbrennt, wie ersetzbar sie seien. Deshalb setzen die Fixlöhner die teilweise sinnfreien Direktiven jederzeit unhinterfragt um.
Zum anderen besteht die Zweiklassengesellschaft aus den Stundenlöhner. Studenten, die zur anderen Hälfte von ihren Eltern finanziert sind und sowieso eigentlich ganz genau wissen, dass sie bald einen echten Arbeitsplatz haben werden. Sie tauchen hin und wieder auf und haben erkannt, dass viele Direktiven absolut sinnlos sind und nur von denen eingehalten werden, denen es, aus ihrer Sicht, an Intelligenz mangelt. Sie lächeln nett, wenn ein Fixlöhner sie anweist, jedem Kunden noch extra Espresso oder ein Sahnehäubchen für einen Franken zusätzlich anzudrehen, wenden sich wieder der Kasse zu und machen weiter wie bisher.
Nun arbeitet Pablo als Shift Supervisor in der Filiale. Aus seiner Perspektive und wie ihm immer wieder von der Unternehmungsspitze versichert wird, ist das seine letzte Chance auf eine anständige Karriere. Also gibt sich Pablo so richtig Mühe, denn schliesslich will er irgendwann ein Vater werden und seine Familie ernähren.
Pablo, der Fixlöhner, nimmt seine Arbeit deshalb ernst, ist autoriätstreu und würde nie den Befehlen von oben widersprechen. Denn das ist, wie gesagt, seine Chance. So kommt es eines Abends zu folgender Situation. Julian, der Stundenlöhner, macht gemeinsam mit Pablo die Spätschicht, als ein vermeintlicher Gast reinkommt und fragt, ob er die Toilette benutzen dürfe. Julian antwortet mit einem „Jaja machen sie nur, aber lassen Sie sich nicht erwischen“. Er sieht den Sinn ganz einfach nicht, jemandem die Toilette zu verweigern. Ein Fehler, denn Pablo steht hinter ihm und hört alles mit. Er fährt mit seinem charmantem Lächeln dazwischen und sagt: „Sorry tut mir echt Leid, aber wir dürfen halt niemanden auf die Toilette lassen, der nicht konsumiert.“ Da Pablo jedoch, wie alle Shift Supervisors, unter einer Mistery Shopper Paranoia leidet, ist er sofort unter Stress und deshalb wütend auf Julian, da ja vielleicht ein solcher im Store sei und Julian bei seiner Widerspenstigkeit beobachtet haben könnte.Weil Pablo aber auch von seinen MitarbeiterInnen eine gute Wertung erhalten will und sowieso eigentlich ein lieber Kerl ist, sagt er zu Julian: „Weisst du, ja ich finde es auch komisch, aber eben, du weisst, du solltest dich lieber an die Regeln halten, weil eben, ich meine sonst bekommen wir alle Stress...“ Nun ja, Julian ist das alles gar nicht so wichtig und darum belässt er es dabei, lacht innerlich ein wenig und nickt.
Da das Kaffee nur noch zehn Minuten geöffnet ist und die Ham and Cheese Croissants nach Ladenschluss sowieso im Abfall landen, beschliesst Julian, sich eines aufzuwärmen und zu essen. Wieder wird er von Pablo erwischt, welcher ihm erklärt „Hey tut mir voll leid... ich finde es auch doof, aber wenn wir erwischt werden, ja halt voll doof, aber ja und sowieso weisst du, wenn das alle machen, dann hat der Laden einfach ein Problem und eben...“ Diesmal nervt sich Julian, lächelt aber nur und freut sich auf das Ende seiner Schicht.
Das schlechte Gewissen quält Pablo trotzdem, vor allem aber hat er Angst seinen Job zu verlieren, weil eben vielleicht doch ein Mistery Shopper da war und was wenn Luzia, die seine Store Managerin ist, Morgen etwas auffällt. Also beichtet er ihr alles am Abend und sagt ihr auch gleich, wie streng er mit Julian war, und dass dieser sich ja sowieso immer falsch verhalte und die Regeln missachte. Ja, Pablo betont Julians Unzuverlässigkeit und seine widerspenstige Haltung, sodass auch mit Sicherheit kein Verdacht auf ihn fällt und er unschuldig wäre bei einer schlechten Bewertung des Mistery Shoppers. Das Julian am nächsten Tag eine Kündigung erhält, überrascht Pablo nun aber doch. Als er Julian sieht, kommt ihm nur folgendes über die Lippen :„ Hey ja, tut mir voll Leid und so aber ja du weisst, die kriegen halt voll Stress von noch weiter oben und ja das geht halt schon nicht, aber ja hey ich hab irgendwie ja auch nichts gesagt...“
Keren Wernli

Keren Wernli arbeitet in der IGA als juristische Assistenz und studiert Rechtswissenschaften an der Universität Basel. Während dem Gymnasium und Studium arbeitete sie über 7 Jahre in der Konzeptgastronomie. Bei dem von ihr verfassten Text handelt es sich um eine fiktive Geschichte, die jedoch in ähnlicher Art und Weise mehrfach stattgefunden hat.

Intern

Arbeitswelten