Juraj Jascur

Einleitung

Das lateinische Wort für Bär heisst «Ursus». Sein Name steht für eine Stadt, einer Weltmetropole. Sie ist Handelszentrum und Geburtsort der neuen Zeit, welche für die heutige Zivilisation des Menschen steht. Sie repräsentiert ein Königreich, das auf eine uralte Zivilisation, nämlich das Paddėreich, gründet und weit über die Grenzen dieser gigantischen Stadt hinausgeht. Zusammen mit anderen bedeutenden Königreichen prägen sie den Handel, die Wissenschaft und die Politik. Ihre Gesellschaft steht ganz oben in der Hierarchie. Sie stellen das Zentrum der Welt dar und verfügen über das alleinige Vorrecht, den Takt des Weltgeschehens zu bestimmen. Der Rest der Welt, die so genannte periphere Gesellschaft, welche sich in allen Himmelsrichtungen verteilen, bleibt nur die Wahl sich entweder mit dem einen oder anderen Königreich zu identifizieren. Sie leben zwar gesittet und organisiert, aber die Werte, das tiefere Wissen und der ganze Komfort verdanken sie ihren Herrschern, welche vom Zentrum aus die Welt regieren.
Jedes Königreich ist auf seine Weise einmalig. Die Einwohner von Ursus identifizieren sich seit Urbeginn ihrer Zivilisierung mit den Eigenschaften des Bären. Ruhig, gelassen und bodenständig gehen sie ihren Geschäftigkeiten nach, verfolgen ihre Ziele und widmen sich ihrer Freizeit. Doch in Extremsituationen verwandelt sich jeder einzelne ihrer Bürger in wilde zähnefletschende Bären, welche nach Freiheit lechzen. Die Geschichte besteht aus einer Aneinanderreihung bedeutender Kriege, Naturkatastrophen und Pandemien, welchen die menschliche Art verwegen trotzte. Ihre Wurzeln reichen weit zurück, in eine Zeit, bevor sich das Universum zu teilen begann. Wer dieses Geheimnis lüftete, war irgendein Urahne, vermutlich ein Bewohner der alten Stadt, Paddė.
Was von der Stadt noch bleibt sind nicht nur Überbleibsel einer längst vergessenen Kultur. Viele Elemente ihrer Infrastruktur dienen noch der neuen Zivilisation. Weder eine Naturkatastrophe, noch Kriege, noch ein Meteorit sind am Untergang dieser Zivilisation Schuld, sondern die schleichende Zeit, die dann von Bedeutung ist, wenn sich Dekadenz und Ignoranz breit machen. Jener Urahne rettete seine alte Welt vor dem abrupten Niedergang, indem er das Geheimnis der dimensionalen Vielfalt lüftete. Aber gegen die zerstörende Kraft der Vernachlässigung vermochte er auch nichts anzurichten. Vielleicht gehörte er sogar zu denen, die selbst an diesem schleichenden Prozess aktiv teilnahmen. Wer weiss das schon! Kein Sterblicher hatte die Gelegenheit, sein Wissen zu teilen. Er starb mit seinem Geheimnis, weil er selbst ein gewöhnlicher Sterblicher war.
Statt die zerstörerische Kraft ihres Wirkens anzuerkennen, erschufen sich die Menschen auf den Hängen des Kraters einen neuen Lebensraum. Sie züchteten ein biologisches Kunstwerk hoch. In vielen Tausenden von Jahren hatte es Zeit mit Hilfe menschlicher Technologie zu gedeihen. Ihre natürliche Entfaltung ging Hand in Hand mit der wundervollen Entstehung eines atemberaubenden Lebensraums. In den Kronen und den Stämmen der gigantischen Linusbäume, die dreimal so schnell wachsen wie die Tannen, siedelten sich die wagemutigen Eroberer einer traumhaften neuen Welt an, nachdem sie ihrer alten Welt, ihrem ehemaligen Zuhause und ihrer eigenen Vergangenheit den Rücken gekehrt hatten. Heute erstreckt sich ihr Lebensraum bis weit über die Kraterhänge bis hinunter zu den Landzungen und den Deltas.
Heute prägt eine künstliche Eislandschaft von Gebäuden, Brücken und Strassen die neue Welt. Nur wenige Menschen verharren noch heute in den Innenwänden des Kraters. Wie ihre Vorfahren geniessen sie den Komfort in ihren mitten im Granit eingehaunen Höhlen, die alles andere als primitive Unterkünfte darstellen. Einige dieser Wunder an Architektonik weisen sogar Kuppelartige Ausbuchtungen, welche wie Blasen aus den Innenwänden des Kraters herausragen. Der Komfort kommt auch hier nicht zu kurz. Schon in geraumer Vorzeit genossen die Paddėbewohner von einst den Luxus, der der heutigen Standart der Ursusbewohner entspricht. Sogar die wagemutigen Baumbewohner, welche sich aufgrund des zerstörerischen Klimawandels gezwungen sahen, im Bärenwald Zuflucht zu finden, gaben sich nicht mit einfachen Behausungen zufrieden.
Sidhėnion, Repräsentant der göttlichen Ewigkeit, überdauerte den Anfang und das Ende der alten Gesellschaft. Bescheiden und ohne ein falsches Gefühl des gekränkt Seins beugte er sich einer neuen Ordnung, in einer neuen Welt, in einem neuen Zeitalter. Ursus, Weltmetropole und Heiligtum der geheiligten Unke. Sidhėnion, einst als oberste Gottheit verehrt, musste mitansehen, wie man sich immer mehr von seiner Religion abzuwenden begann. Man verdrängte ihn, um für ein neues Symbol Platz zu schaffen. Der Niedergang von Paddė leitete den Beginn einer neuen Zivilisation ein, welche der heiligen Unke huldigt. Ihr zu Ehren rodeten die Einwohner Bäume, Büsche und riesige Flächen grüner Natur. Um die beeindruckenden Seen, Flüsse, Kanäle, Weiher, Teiche und Wassererker mit Wasser zu versorgen, bauten hoch qualifizierte Ingenieure Viaduktstrassen und das obere Kastell. Hier wurde jeder erdenkliche Rinnsal bis zum grossem Wasserfall umgeleitet, um sein angebetetes Nass in die Stadt fliessen zu lassen. Man schuf die ideale Welt für die Unken. Auf diese Weise bedankte man sich für ihre göttliche Präsenz.
Sidhėnion strahlt noch immer Kraft und Stärke aus. Deshalb fällt es jedem, der ihn beobachtet, schwer sich vorzustellen, dass er grosszügig darüber hinwegsah, dass sich die heilige Unke vor Urzeiten den Hauptsitz in den Ahnenreihen der Götter ergatterte. Er liess es zu, dass sich die Welt veränderte. Das Klima wandelte sich. Der erhöhte Wasserbedarf der heiligen Unke veranlasste den Menschen dazu, ihre eigene Welt zu zerstören. Dass Sihénion jetzt bei dem Anblick der versunkenen Stadt so friedlich zu schmunzeln vermag, verwundert einem wirklich. Vielleicht liegt es an seiner unendlichen Weisheit und geistiger Grösse, dass er den Lauf der Dinge, die seinen eigenen Untergang bestimmen, einfach so hinzunehmen weiss. Oder tarnt er sich bloss? Vielleicht wartet er bloss auf seine Zeit, die wieder kommen wird. Man weiss es nicht.
Wer jetzt diesen Giganten, der seit einer Ewigkeit breitbeinig aufrechtsteht, betrachtet, vermag sich nicht eines Gefühls des Bedauerns für ihn zu erwehren. Jene Gottheit, welche nun in Form einer majestätischen Statue in den Mauern der Vorhallen als Nischenskulptur verkommt, weckt bei ihrem Anblick gemischte Gefühle. Hin und her gerissen zwischen dem Gefühl des Bedauern und der aufrichtigen Bewunderung, staut sich bei einem sterblichen hochsensiblen Beobachter unweigerlich die Wut auf, welche in die Frage mündet: «Wieso!».
Doch die meisten, die sich heute die Stadt, Ursus, im Schein des Vollmondes betrachten, mögen Fragen, die den Sinn für den Untergang von Paddė zu erklären versuchen, für pathetisch halten. Den heutigen Besucher, welche sich in den Krater begeben, um die eindrücklichen Monumente einer versunkenen Stadt zu bewundern, entweicht höchstens ein «Oh!» oder «Ah!». Beim Anblick der mächtigen Wächter des Kraters vergessen sie sogar das tragische Ende ihrer Ära. Der Krater diente Paddė einst als Schutz vor den heftigen Winden. Heute lässt sie sich mit einem riesigen siebartigen Wasserspeicher vergleichen, der durch Abertausende von Öffnungen, Wasserstrahlen nach draussen schiessen lässt.
Die alten Anlagen von einst dienen heute nicht nur als historisches Zeugnis, sondern als bedeutende Infrastruktur für eine hohe Eistechnologie. Hier entstand eine wundervolle Zusammenarbeit zwischen Historischer Baukunst und moderner Industrie. Die Alten Bauten, oberhalb des Kliffs, kombiniert mit der Viaduktstrasse bilden wichtige Architektonische Zahnräder in der Entstehung von Eis. Denn hier auf dem grossen Vorplatz der Anlage fliessen gigantische Mengen an Wasser über die Speier in Becken, welche ihre Volumen seitlich in die Kanäle des Kraters entleeren. Das Wasser, von der Heiligen Unke gesegnet und geführt, fliesst über mehrere Gänge und Plateaus in die Kathedralähnlichen Hallen von Paddė, wo es in den Seitennischen erkaltet und gefriert. Frostnebel und das knistern der grossen Feuerschalen scheint den ewigen Kampf dieser zwei Elemente zu veranschaulichen.
In Anbetracht dieser Tatsache bleibt doch Sidhėnion nichts anders übrig, als seinen bescheidenen Platz neben der heiligen Unke und Akanė anzuerkennen. Er betrachtet die neue Gottheit nicht als seinen Nebenbuhler. Zu solchen kleinlichen Gedanken ist er nicht fähig. Umso mehr schätzt er Akanė, welche die Fähigkeit besitzt, ihre irdischen Fesseln zu lösen, um in beliebiger Grösse in Erscheinung zu treten. Manchmal sitzt sie ihm in Form einer winzigen Gestalt auf seinen Schultern. Der gewöhnliche Sterbliche hält sie bloss für eine gewöhnliche Statue, einem historischen Indiz einer längst vergessenen Religion. Seine Fähigkeit der Teleportation wird nur noch von wenigen Menschen anerkannt. Mal taucht er hier, mal wieder da auf.

  
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